Skandale um jeden Preis

Als Journalist darfst du kein Gewissen haben
Gleich die Überschrift muss ein Hingucker sein. Sie muss den Leser fesseln und Emotionen bei ihm wecken. Am besten Gefühle der Empörung, Erschütterung – also solche, die ihm helfen, schnell eine Meinung zu bilden. Das gilt nicht nur für Printmedien, sondern auch für Radio und Fernsehen. Je simpler und dramatischer die Meldung ist, desto besser lässt sie sich ans Volk bringen. Stilistische Mittel wie die Übertreibung, Verkürzung von Zusammenhängen, bestimmte Schnitttechniken bei Videobeiträgen etc. tragen ihren Teil dazu bei.
Eine gängige Praxis, deren Vorzeigebeleg natürlich die BILD ist. Doch wer sie als Einzeltäterin verurteilt, der tut ihr Unrecht. Fragwürdige Berichterstattung zieht sich Tag für Tag durch die gesamte Medienlandschaft.
Egal ob es um Kriege, Bundestagsdebatten, Vogelgrippe oder Klatsch und Tratsch geht: jeder x-beliebige Anlass wird so aufgegriffen, wir er am besten verkauft werden kann. In Kriegsberichten werden einseitige Berichte und spektakuläre Bilder gezeigt, in politischen Diskussionen werden die politischen Machtkämpfe in den Vordergrund gestellt, Ereignisse wie die Vogelgrippe werden dramatisiert und falsch dargestellt und Prominews werden so menschenverachtend recherchiert und aufbereitet, dass es ein Wunder ist, dass die Prominenten noch keinen Amoklauf gegen die Paparazzi gestartet haben.

©Martin Schemm/pixelio.de

Sicherlich sind viele Thematiken, wie z.B. Kriegsberichte oder politische Debatten, viel zu kompliziert um sie umfangreich und von allen Seiten zu beleuchten – zumindest in den Nachrichten. Doch es gibt in unserer schnelllebigen Welt nur wenig Platz außerhalb der Nachrichten in Zeitung, Funk und Fernsehen für eine ausführliche und sachliche Auseinandersetzung wichtiger Themen. Frag doch einmal die Menschen in Deutschland: Wer von denen versteht denn und kann erklären, was hinter dem ESM und dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vor einem knappen Monat steckt? Wer überblickt die Lage in Syrien noch differenziert? Wer von den Deutschen versteht denn tatsächlich die Vorschläge von Ursula von der Leyen zur Bekämpfung der Altersarmut und die inhaltliche Kritik der Opposition? Und wen geht Bettina Wulffs Vergangenheit etwas an, außer ihr selbst und ihrem Mann?
Als Journalist darfst du kein Gewissen haben. Denn ob du Dinge unvollständig, überzogen, einseitig oder unter Missachtung der Privatsphäre anderer Leute darstellst, spielt dann keine Rolle, wenn du damit eine gute Story liefern kannst. Und das willst du, denn du stehst unter ständigem Druck – gesetzt von der Konkurrenz und den Werbepartnern.

©Hans-Peter Häge/pixelio.de

Den Menschen bleibt kaum eine andere Wahl, als die Nachrichten zu konsumieren, die ihnen vor den Latz geknallt werden. Hintergründe selbst recherchieren? – Dank des Internets sicherlich möglich, aber keine realistische Option, da Zeit und Lust einfach fehlen. Selbst wenn es noch nicht einmal von vielen Menschen in Anspruch genommen werden würde: es muss ein tägliches Format geben, welches sich im Sinne der journalistischen Tugenden mit dem Tagesgeschehen befasst und ggf. anschließend einordnet. Schlechte Quoten/Auflagen Popularität und finanzielle Interessen sollten dabei keine Rolle spielen, denn unabhängig von diesen Faktoren sollte so ein Format grundsätzlich jedem Bürger zur Verfügung stehen.
Diese Rahmenbedingungen sind sicherlich unrealistisch – genauso wie eine verständliche, sachlich objektive und differenzierte inhaltliche Aufbereitung der Themen des Tages. Doch zumindest eine Annäherung an  den Idealzustand ist ein erstrebenswertes Ziel.

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