Europa rückt mit Ansage nach rechts

Pro Europa Wolkenkrieger
Nur (m)eine Meinung #58: Europa rückt mit Ansage nach rechts

Zumindest für Deutschland lässt sich sagen, dass sich die deutsche Haltung zur Bundespolitik auch auf das Abstimmungsverhalten bei der Europawahl auswirkt, obwohl beides eigentlich differenzierter betrachtet werden müsste. So lässt sich aus dem deutschen Wahlergebnis ableiten, wie eine Bundestagswahl wohl ausgegangen wäre. Das Ergebnis der Europawahl ist bedrückend, kommt aber nicht überraschend.

Wenn ich mich an den Amtsantritt der Ampelkoalition vor etwa drei Jahren zurückerinnere, dann denke ich an das demonstrativ gute Verhältnis, das die drei Parteien nach außen gezeigt haben. Man wollte lange Nachtsitzungen verhindern und mit Ansage vertrauensvoller und respektvoller miteinander umgehen. Von einem neuen Politikstil war die Rede. Es hätte so schön werden können, denn genau das hätte einer deutschen Bundesregierung in diesen aufreibenden Zeiten gut zu Gesicht gestanden. In der Praxis machen SPD, Grüne und FDP das genaue Gegenteil. Es finden doch wieder lange Nachtsitzungen statt. Die Art und Weise, wie über Themen gestritten wird und bereits erzielte Kompromisse wenig später auf offener Bühne vom Koalitionspartner wieder hinterfragt werden, unterbietet sogar noch das Niveau der Vorgängerregierung. Der Kanzler erklärt seine Politik nicht, hält sich gefühlt aus allen Debatten heraus und ist offenkundig nicht in der Lage, Disziplin in seiner Regierung herzustellen.

Dazu kommt noch das politisch schlechte Handwerk der Regierung. Der Bundeshaushalt wird gerichtlich als verfassungswidrig eingestuft. Die Agrarsubventionen werden gestrichen und aufgrund der Bauernproteste teilweise wieder zurückgenommen. Internationale Partner werden undiplomatisch mit einer arroganten wertegeleiteten Außenpolitik vor den Kopf gestoßen. Es wird eine in vielen Augen unverhältnismäßige Bürgergeld-Erhöhung und Streichung von Sanktionen beschlossen. Von jetzt auf gleich werden die E-Auto Subvention gestrichen und andererseits werden weniger schmerzhafte Steuereinsparungen nicht umgesetzt wie die Streichung der Pendlerpauschale, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes etc.

Pro Europa Wolkenkrieger
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Und als wenn das politisch schlechte Handwerk und der unprofessionelle Umgang miteinander nicht schon schlimm genug wären, werden in Deutschland ganze Gesellschaftsschichten seit vielen Jahren durch das traditionell linke Lager mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger herabgewürdigt und in eine rechte Ecke gesteckt. Ein kritischer Diskurs über eine konstruktive Umweltpolitik, den Sinn und faktischen Nutzen einer gendergerechten Sprache oder über Migrationspolitik war in den letzten Jahren kaum möglich. Wer mit der Geschwindigkeit nicht zurecht kam, mit der sich unsere Gesellschaft aufgrund dieser Themen in den letzten zehn Jahren verändert hat, wurde nicht ernst genommen, als unmodern und veraltet abgewertet oder sogar in die rechte Ecke gedrängt. Letzteres hat sich unterdessen zum Glück etwas gelegt, weil auch der weltoffenste Mensch nicht ignorieren kann, dass eine Gesellschaft nur ein gewisses Maß an Migration und Integration innerhalb eines bestimmten Zeitraums bewältigen kann, dass Klimaschutz nur funktioniert, wenn man den Menschen mitnimmt und ihm nicht das Gefühl gibt, er müsste die unzureichende Umweltpolitik der letzten 40 Jahre alleine ausbaden und dass auch das Gendern nicht mehr als ein wirkungsloses Symbol ist, von dem diskriminierte Menschen am Ende des Tages auch nichts haben.

Diese Einsicht – wenn sie denn wirklich in Gänze da ist – kommt spät. Und sie ist nicht die einzige Erklärung für das Erstarken des rechten Randes. Auch die Verbreitung von Fake News im Internet, fehlende Medienkompetenz und die Schnelllebigkeit der Debatten, die kaum noch Zeit zur ruhigen Reflektion lassen, sind weitere Gründe. Und es wird weitere Gründe geben, die ich hier nicht nenne. Ich möchte hier aber den Fokus auf zwei wichtige Aspekte legen, die mir am Herzen liegen und Teilgründe für den Rechtsruck in Deutschland sind: die fachliche und soziale Inkompetenz unserer Politiker und die undemokratische Debattenkultur in diesem Land.

Zur Debattenkultur möchte ich sagen, dass diese aus meiner Sicht von Menschen gefährdet wird, die sich laut eigenen Aussagen immer für Vielfalt und Toleranz stark machen. Meine an die links-grüne Richtung adressierte Kritik ist daher kein Ausdruck meiner vermeidlich rechts-konservativen Gesinnung (dies ist nämlich nicht so!). Vielmehr bringt meine wiederholte Kritik an den Linken und Grünen meine tiefe Enttäuschung zum Ausdruck, weil ich mir aus dieser politischen Ecke mehr erwartet hätte. Statt sich konstruktiv und pragmatisch für Vielfalt und Toleranz einzusetzen, haben sie mit ihrer moralischen Überheblichkeit, der überempfindlichen Verengung des „erlaubten“ Meinungskorridors und ihrem Kampf gegen Rechte, wo keine wahren Rechten waren, Hass und Spaltung in unsere Gesellschaft gebracht. Vielleicht mit guten Absichten. Die Medienlandschaft hat – vielleicht auch mit den besten Absichten – das Narrativ dieser Community verbreitet und die Rechtspopulisten sind dankend auf den Zug aufgesprungen, haben die Gräben in unserer Gesellschaft tiefer gegraben und sind in fast ganz Europa erstarkt.

Denn Kritik an der Migrations- und Umweltpolitik, an der Haltung zur Ukraine und Russland, zur Gendersprache und dessen, was heute Sexismus sein soll, begegnet man in einer Demokratie nicht, indem man einseitig Fakten schafft und Menschen dann von oben herab belehrt, wie sie über die Themen zu denken haben, wenn sie gute Menschen sein wollen. In einer Demokratie werden solche Fragen gesellschaftlich verhandelt. Dies haben Linke und Grüne jahrelang eklatant missachtet, was mich sehr enttäuscht. Denn ein solches Verhalten hätte ich aus der anderen Ecke erwartet – nicht aber aus der linken. In der Konsequenz gründen sich neue Parteien und Kleinstparteien gewinnen an Zulauf, weil sie Positionen vertreten, die man von der CDU bis zur Linken kaum mehr findet, obwohl sie keineswegs radikal oder undemokratisch sind.

Ich möchte in einer toleranten Gesellschaft leben, in der keiner verbal und körperlich bedroht wird, weil er anders ist oder eine andere Meinung vertritt. Ich möchte leidenschaftlich aber zivilisiert über politische und gesellschaftliche Themen streiten können. Dabei möchte ich weder als links-grün noch als rechts beleidigt werden, weil ich vom vermeintlichen Konsens abweiche – in welche Richtung auch immer. Die Grenzen dessen, was an Meinungsäußerung gesellschaftlich akzeptiert ist, muss wieder so offen werden wie das rechtlich Erlaubte. Wir müssen als Gesellschaft wieder toleranter gegenüber abweichender Meinungen werden und diese nicht sofort verurteilen. Außerdem brauchen wir Politiker, die eine handwerklich gute Politik machen und dabei einen zivilisierten Umgang miteinander pflegen, realistische Wahlversprechen abgeben und nachvollziehbar erklären, warum es mal nicht so läuft wie gedacht. Beides sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Deutschland und Europa wieder demokratischer und lebendiger werden können.

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