Bundeskanzler Scholz hat am Montag als erster Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und ein Machtwort in der Atom-Debatte gesprochen. Damit hat er den Streit um längere AKW-Laufzeiten beendet. Kurz darauf debattiert die deutsche Medienlandschaft darüber, wie schlecht es um die Ampel-Koalition stehen muss, wenn sich der deutscher Kanzler gezwungen fühlt, von der Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Kann man die Entscheidung von Scholz wirklich als Machtwort bezeichnen? Und wer ist der größte Verlierer in dieser Debatte? Für manch einen Kommentator scheinen Neuwahlen nicht mehr lange auf sich warten zu lassen.
In der Atom-Debatte ist sicherlich einiges schief gelaufen. Stellt man die Haltungen von FDP und den Grünen gegenüber, dann lacht einen halbwegs rational denkenden Menschen die Entscheidung des Bundeskanzlers förmlich an. Warum sich die Koalition nicht schon vor Wochen auf diese für alle Seiten gesichtswahrende und auf der Hand liegende Lösung einigen konnte, dürfte jedem ein Rätsel sein, der nicht selbst Teil der Koalition ist. Auch der Zeitpunkt, den Scholz für sein Machtwort gewählt hat, ist denkbar ungünstig gewählt. Einen Tag nach dem Parteitag der Grünen, auf dem eine klare (andere!) Position zur Atom-Debatte bezogen wurde, konnte das Machtwort von Scholz nur für weiteren Unmut in der Koalition sorgen: ein selbstgeschaffenes wie unnötiges Problem, dass die weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht einfacher macht.
Doch am Ende des Tages tragen die Grünen und die FDP die Entscheidung des Kanzlers mit, sodass man sich nun wieder den anderen drängenden Themen zuwenden könnte. Aber vorher muss die Deutsche Medienlandschaft genüsslich jeden dieser genannten Fehler zerpflücken. Dabei wird der Koalitionskrach – ob gewollt oder ungewollt – zu einer Regierungskrise gigantischen Ausmaßes aufgebläht. Diese Berichterstattung beeinflusst natürlich auch die Meinung mancher Bürger, die diese Berichterstattung konsumieren. Natürlich ist es wichtig, dass die Medien über die gemachten Fehler und die Unstimmigkeiten in der Koalition berichten. Aber Maß und Mitte sehen anders aus.
Trotzdem zeigt sich die Medienlandschaft vollkommen erzürnt und alles andere als kritikfähig, wenn Richard David Precht und Harald Welzer die Art und Weise der Berichterstattung kritisieren. Statt sich inhaltlich mit der Kritik der beiden auseinanderzusetzen, wird deren Haltung und teilweise die beiden als Personen diskreditiert. Wenn sich die Journalisten mit der Selbstkritik so schwer tun, muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Pressearbeit in den nächsten Monaten und Jahren noch weiter in den Keller rutscht. Alles in Allem ein unnötiges Drama, wenn man bei der Fehlersuche mit der eigenen Nase anfangen würde.