Die Aufgabe

Unglück oder Schmerz?
Beklemmung. An den Kräften zehrende Beklemmung. Deprimiert saß Markus auf einem Baumstumpf im Wald und dachte nach. Wie sollte er sich verhalten? Egal, welche Entscheidung er trifft: er wird der Verlierer sein.
Markus und Jasmin kennen sich bereits seit vier Jahren. Sie begegneten sich damals auf der Feier eines gemeinsamen Freundes. Die beiden kamen recht schnell ins Gespräch und konnten sich auf Anhieb gut leiden. Den ganzen Abend hatten sie sich viel zu erzählen. Sie scherzten miteinander und es fühlte sich für Markus so an, als seien sie schon seit Jahren befreundet. Dies schien ganz auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn Jasmin tauschte in den frühen Morgenstunden ihre Handynummer mit Markus, bevor beide nach dieser langen Nacht nach Hause fuhren. Und tatsächlich sagte Jasmin begeistert zu, als Markus sie knapp zwei Wochen später auf einen Spieleabend mit Freunden einlud. Auch dort verstanden sich die beiden super und Jasmin integrierte sich hervorragend in Markus´ Freundeskreis. Seine Freunde nannten sie immer „Smiley“, weil sie mit ihrem witzigen Charme die Gruppe aufheiterte.

©Marc Tollas / pixelio

Im Laufe der Monate gewann ihre Freundschaft an Tiefe. Auf einer gemeinsamen Wochenendreise nach Luxemburg erlebten sie nicht nur eine Menge, sondern führten hinter den alten Burgen auf abgelegenen Plätzen, die kaum von Touristen erkundet werden, tiefgründige Gespräche. Jasmin fühlte sich unterdrückt, weil ihr Chef seine Mitarbeiter mit strenger Hand führte und ihnen kaum die Möglichkeit gab, während der Arbeit einmal durchzuatmen. Hin und her gerissen zwischen der Hoffnung auf einen anderen Job mit besserem Arbeitsklima und ihrem sicheren Arbeitsplatz, verlor sie von Woche zu Woche ihre Lebensfreude und suchte die Hilfe von Markus. Dieser unterstützte sie so gut er konnte. Er war ihr in ihrer schweren Zeit wie ein guter Geist, der ihr Kraft gab und für sie da war.
Mit seiner Hilfe schaffte es Jasmin, eine Entscheidung zu treffen. Sie wurde von nun an wieder mehr und mehr zu „Smiley“. Markus hatte sie sehr lieb gewonnen und war glücklich über die gute Freundschaft mit ihr. In ihrer Nähe fühlte er sich leicht und die dunklen Schatten seiner Sorgen wirkten auf ihn nicht mehr so bedrohlich.
Dabei bemerkte er kaum, dass die Spannung und Abwechslung scheinbar nur noch einseitig empfunden wurden. Jasmin zog sich mehr und mehr aus Markus´ Leben zurück – so langsam, dass dieser es lange Zeit nicht bemerkte, oder bemerken wollte.

©Stefan Seefeldt

Dann geschah es! Ein langjähriger guter Freund beging aus scheinbar heiterem Himmel Selbstmord. Markus war am Boden zerstört. Viele dunkle Nächte lang lag er voller Trauer und Schuldgefühlen in seinem Bett. Warum nahm sich sein Freund das Leben? Hätte er die Anzeichen erkennen und den Selbstmord verhindern können?
Verzweifelt versuchte er Jasmin sein Herz auszuschütten, doch sie hatte fast nie Zeit und wehrte immer ab, wenn er sich mit ihr treffen wollte. Markus fühlte sich im Stich gelassen und einsam. Jasmins Rückzug fühlte sich an, als zöge ihm jemand einen Knebel um sein Herz. Er versuchte zu schreien. Doch seine Stimme erstickte in der endlosen Weite der Zeit. Jasmin ließ ihn fallen und Markus fühlte sich verloren in der Einsamkeit.
Mühsam kämpfte er sich über den Tod seines Freundes hinweg, doch Jasmins Verrat machte ihm ebenfalls schwer zu schaffen. Hatten sie nicht beide so viel aus ihrer Freundschaft ziehen können? Sollte das alles nur eine Illusion gewesen sein und er redete sich bloß ein, dass diese tiefe Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruhte? Wie gerne würde Markus die Freundschaft mit Jasmin fortsetzen und mit ihr Spaß haben, wie in alten Zeiten.
Doch er fragt sich selbst, ob er über Jasmins freundschaftliche Untreue hinwegsehen kann. Soll er das überhaupt? Kann man hier noch von einer wahren Freundschaft sprechen?
Markus fühlt sich hin und her gerissen zwischen der Verlockung, an alte Zeiten anzuknüpfen, was aber wohl nur ein Selbstbetrug wäre, und der Chance, sich von Jasmin nicht länger so behandeln zu lassen, was auf Grund der tiefen Zuneigung zu ihr sehr schmerzhaft wäre.

Beklemmung. An den Kräften zehrende Beklemmung. Deprimiert saß Markus auf einem Baumstumpf im Wald und dachte nach. Wie sollte er sich verhalten? Egal, welche Entscheidung er trifft: er wird der Verlierer sein.

Doch eine der beiden Entscheidungen wird ihn sich morgens beruhigt im Spiegel in die Augen sehen lassen können.

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