Der Korridor des Erlaubten wird zu eng

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Nur (m)eine Meinung #53: Der Korridor des Erlaubten wird zu eng

Zwei deutliche Infos direkt vorweg:

1.) Nein, das Verhalten des spanischen Fußballverbandsbosses Luis Rubiales war nicht in Ordnung, als er die spanische Nationalspielerin nach dem WM-Sieg packte und auf den Mund küsste. Seine fehlende Einsicht ist ein charakterliches Armutszeugnis.

2.) Nein, die Haltung derer, die sich voll und ganz auf die Seite der spanischen Spielerin Hermoso stellen, teile ich ebenfalls nicht.

Wir schreiben das Jahr 2023. Frauenrechte und Gleichberechtigung waren noch nie so präsent wie jetzt – und das völlig zurecht. Wer das Selbstbestimmungsrecht einer Frau – insbesondere auf ihren Körper bezogen – nicht achtet, muss mit einem massiven Shitstorm sowie beruflichen und juristischen Konsequenzen rechnen. Die Zeiten, in denen mächtige, dominante Männer mit Frauen umspringen können, wie es ihnen beliebt, neigen sich dem Ende, denn ein solches Verhalten ist zum Glück immer seltener möglich, ohne dass es Konsequenzen nach sich zieht. Diese Erfolgsgeschichte der Gleichberechtigung und Selbstermächtigung muss fortgeschrieben werden, damit Frauen in wirklich allen gesellschaftlichen Bereichen die gleichen Freiheiten, Chancen und Respekt zukommen kann.

Gleichzeitig verengt sich der Korridor des Erlaubten immer mehr. Ebenfalls im Jahr 2023 reicht schon ein 2-sekündiger Schmatzer auf den Mund einer Frau aus einer Situation der Freude und Euphorie heraus aus, um hierin einen Gewaltakt und Sexismus zu erkennen. Es wird auf diesen Vorfall reagiert, als sei eine schwere Straftat und eine massive Schädigung der betroffenen Frau geschehen.

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©aescdtle_art/pixabay.com

Natürlich ist es wichtig, Grenzen zu ziehen, die unbedingt eingehalten werden müssen und eine rote Linie darstellen. Diese Grenzen müssen indiskutabel sein – auch ohne dass eine Frau (oder besser gesagt: ein Mensch) vorher extra „nein“ sagen muss. Wenn diese rote Linie jedoch bereits ein kurzer Schmatzer aus dem Affekt der Freude und Euphorie heraus sein soll, ohne einer bösen Absicht wie z. B. der Demonstration von Macht, dann erscheint mir dies eher als ein neuer Höhepunkt der Prüderie und weniger als Sexismus. Aus einem Moment der Euphorie heraus kann man im Affekt unmöglich vorher fragen, ob man jemandem vor Freude ein Küsschen geben darf. Man stelle sich eine solche Situation einmal praktisch vor.

Ungeachtet dessen muss Frau Hermoso zugestanden werden, dass sie den Kuss als unangenehm und unangemessen empfand. Niemand hat das Recht, ihr dieses Gefühl des Unbehagens einfach abzusprechen. Doch was sollte nun daraus folgen?

Wenn das, was der spanischen Nationalspielerin widerfahren ist, mir als Mann widerfahren wäre, dann hätte ich im Nachgang das Gespräch gesucht und klargestellt, dass ich mich bei dem Kuss unwohl fühlte, sich ein solches Verhalten für die Zukunft verbittet und es im Wiederholungsfall natürlich Konsequenzen haben wird.

Doch dass ein solcher Vorfall dazu führen soll, dass der spanische Verbandsboss seinen Posten abgeben muss, sprengt jedes Maß an Angemessenheit. Sein Fehltritt – und es war zweifelsfrei ein Fehltritt – wird in einer Weise dramatisiert, als hätten wir es mit einem Schwerverbrecher zu tun. Wie soll man Männer, die sich noch nie mit dem Thema Sexismus und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auseinandergesetzt haben, für diese wichtige und gute Sache gewinnen und sensibilisieren, wenn bereits für kleine Fehltritte so massive Konsequenzen gefordert werden? Dies erinnert eher an Pranger im Mittelalter als an eine faire Debatte. In den letzten Jahren zieht man den Korridor des Erlaubten lieber immer enger, sodass immer kleinere Vorfälle bereits zu einer indiskutablen Grenzüberschreitung erklärt werden. Das soll mitnichten bedeuten, dass Frauen im Falle einer unangemessenen Behandlung nicht den Mund aufmachen sollen. Doch es kommt auf die Art und Weise der Gegenreaktion an. Je enger der Korridor des Erlaubten gezogen und je heftiger sich im Fall einer solchen Grenzüberschreitung echauffiert und eine Opferrolle auferlegt wird, desto schwerer fällt es mitunter, die jeweiligen Frauen als souverän und selbstbewusst anzusehen bzw. ernstzunehmen. Und dies kann nicht der Effekt sein, den wir uns für eine Welt wünschen, in der ein gegenseitiger Umgang auf Augenhöhe eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

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