Wenn ich etwas im Laufe meines Philosophie-Studiums gelernt habe, dann, dass man alles und jeden zu jeder Zeit kritisch hinterfragen kann. Das geht los bei den großen Fragen des Lebens, wie zum Beispiel ‚gibt es sicheres Wissen?‘ oder ‚was ist Moral?‘ und kann kleinschrittig zu ganz speziellen Fragen führen, wie beispielsweise ‚Ist Spaß ein Grund, aus dem wir handeln?‘ oder ‚darf ich in einer peinlichen Situation lügen?‘.
Es macht Sinn, sich diese Fragen zu stellen – auch die speziellen Fragen. Man kann sich durch kritisches Hinterfragen der eigenen Denkweise und alltäglichen Handlungen ungeheuer bereichern. Möglicherweise entwickelt man auf diese Weise sogar seine eigene kleine Moraltheorie, nach der man sein Leben ausrichtet. Hat man die Konsequenzen von Lügen in allen möglichen alltäglichen Situationen analysiert, entwickelt man eine eigene Einstellung zum Lügen in diesen Augenblicken. Man kann diese eigene Haltung argumentativ begründen und gegen Kritik verteidigen. Und je öfter man sich mit moralischen oder anderen philosophischen Fragen auseinandersetzt und lernt, sie systematisch zu analysieren und für bzw. gegen bestimmte Positionen zu argumentieren, desto leichter fällt es einem, dies auf alle möglichen und alltäglichen Lebensbereiche anzuwenden.
Dies ist eine nützliche Fähigkeit, die ich gerne bei deutlich mehr Menschen erkennen wollen würde. Sie zeugt davon, dass man in der Lage ist, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nicht auf Grundlage von Trends, Annehmlichkeiten oder Autoritäten seine eigene Meinung und Lebensweise ausbildet. Dazu gehört es übrigens auch, dass man zu vielen komplizierten tagesaktuellen Ereignissen sagt, man habe nicht genug Informationen, um sich eine (klare) Meinung dazu zu bilden. Viel zu viele Menschen vertreten heutzutage Positionen, ohne ansatzweise eine schlüssige Grundlage dafür zu besitzen.
Doch wie auch bei der Ernährung kommt es beim kritischen Hinterfragen und der Meinungsbildung auf die richtige Mischung an. Wir Deutsche neigen naturgemäß dazu, überall etwas zu finden, an dem sich herummeckern und -kritisieren lässt. Und so geht es auch Philosophen, wenn sie nicht aufpassen. Wer zu akribisch alle Pro- und Kontraargumente abwägt und sich strenge und vermeintlich vernünftige Kriterien für Entscheidungen überlegt, neigt gerne mal zur Handlungsunfähigkeit und macht sich unglücklich. Besonders bei zwischenmenschlichen Kriterien führt das oftmals zu Isolation und Verzweiflung. Klar: seine Freunde und seine/n Partner/Partnerin sollte man sich sehr genau aussuchen. Viele Wesens- und Charaktermerkmale wollen berücksichtigt und mit den eigenen Lebens- und Wertevorstellungen verglichen werden. Doch mit dem Wunsch, alles gründlich und richtig machen zu wollen, schneidet man sich eventuell ins eigene Fleisch. Der Drang zur Perfektion wird unbewusst auf seine Mitmenschen übertragen, die abnehmend den hohen Erwartungen entsprechen, die man an sie stellt. Und schon ist man allein.
Neben allem Hinterfragen, Einordnen und Bewerten muss man auch den Mut zum Fehler haben. Mut zu eigenen Fehlern; Mut, nicht alle Fehler seiner Mitmenschen als Ausschlusskriterium für Freundschaft oder Beziehung zu betrachten. Man wäre überrascht, wie glücklich man sein kann, wenn man sich entspannen und mal Fünfe gerade sein lassen könnte. Manche eigenen Fehler oder Fehler des Anderen sind nicht ausschlaggebend für das Funktionieren einer guten Freundschaft oder Liebesbeziehung.
Zur Philosophie gehört es auch, dass eigene Hinterfragen zu hinterfragen und entsprechend zu handeln. Hat man dies gelernt, ist man ein Stück weiser und hat praktischen Nutzen davon.