Eltern genießen in Deutschland ein hohes Mitbestimmungsrecht in Bezug auf schulische Entscheidungen, die ihre Kinder betreffen. Hat ein Kind eine Lernschwäche oder gar eine Behinderung, haben die Eltern faktisch das letzte Wort bei der Frage, ob dem Kind eine Integrationskraft zur Seite gestellt oder es gar auf eine Förderschule versetzt wird. Die meisten Eltern sind jedoch weder vernünftig noch kompetent genug, um diese Entscheidung zum Wohl ihres Kindes treffen zu können. Deshalb sollten Grundschullehrer die Befugnis erhalten, solche Entscheidungen über die Köpfe der Eltern hinweg treffen zu können.
Wenn das eigene Kind geistig zurückgeblieben oder verhaltensauffällig ist, empfinden Eltern dies oftmals als schweren Schlag. Leider reagieren sie darauf häufig mit Verdrängung oder unangebrachtem Stolz (Trotz). Sie können nicht akzeptieren, dass ihr Kind eine Schwäche hat und gleichaltrigen Kindern gegenüber benachteiligt ist. Sie bestehen daher darauf, dass ihr Kind eine ganz gewöhnliche Grundschule besucht und am Unterricht teilnimmt. Doch mit diesem Verhalten handeln sie zum Nachteil aller. Zum einen trägt das benachteiligte Kind dazu bei, dass die Konzentration und Leistungsfähigkeit der anderen Kinder massiv abnimmt. Der Lehrer muss nämlich viel Zeit und Aufmerksamkeit in das Problem-Kind investieren; Zeit, die den anderen Kindern fehlt. Auch lenkt ein verhaltensauffälliges Kind die Mitschüler durch unangemessenes Verhalten ab.
Zum anderen hat der Unterricht an einer gewöhnlichen Grundschule für ein leistungsschwaches oder verhaltensauffälliges Kind keinen Effekt auf seine Leistungsfähigkeit. Vielmehr ist das Niveau an einer solchen Schule für ihn zu hoch und es fehlt an geschultem Personal und Kapazitäten, um das Kind adäquat fördern zu können. Nur an Förderschulen sind diese Bedingungen gegeben. An einer gewöhnlichen Schule verliert das Problem-Kind wertvolle Zeit, in der es angemessen gefördert werden und Fortschritte machen könnte. Stattdessen wird es an einer gewöhnlichen Schule inhaltlich uneinholbar abgehängt, zum Außenseiter in der Klasse und raubt den Lehrern den letzten Nerv.
Lehrer haben jahrelange Erfahrung im Unterrichten von Schülern. Sie können nach einem Jahr sehr genau einschätzen, inwiefern sich der Unterricht an einer gewöhnlichen Schule für ein verhaltensauffälliges oder geistig zurückgebliebenes Kind noch lohnt oder nicht. Entsprechend sollte ihnen die Befugnis zugesprochen werden, eine bindende Entscheidung über geeignete Maßnahmen zum Wohl des Kindes zu treffen. Besonders bei verhaltensauffälligen Kindern liegt die Ursache dieser Beeinträchtigung oftmals in der desolaten Erziehungs-, Sozial- und Entscheidungskompetenz der Eltern begründet. Ignorante Eltern, die ihr Kind nicht realistisch beurteilen wollen oder können, sollten daher nicht die Entscheidung über die schulische Laufbahn ihres Kindes treffen dürfen – zum Wohl des eigenen Kindes, der Schulkameraden und der Lehrer.
“liegt die Ursache dieser Beeinträchtigung oftmals in der ‘desolaten’ Erziehungs-, Sozial- und Entscheidungskompetenz der Eltern begründet” – welche Worte… Musste erst mal nachschlagen, ob es nicht etwas mit dem EisbergSOLAT zu tun haben könnte… xD
Aber ernsthaft: schöner Text. Meinst du aber nicht, dass die alleinige Entscheidungsgewalt von Grundschullehrern ebenfalls missbraucht bzw. falsch sein kann?
Trotzdem sind mir viele der von dir beschriebenen Fälle bereits begegnet. Ich stimme dir also fast gänzlich zu. Nur weiß ich nicht, welche Alternative auf der rechtlichen Ebene das Richtige ist…
Ja, die Entscheidungsgewalt von Grundschullehrern kann evtl. auch missbraucht werden oder falsch sein. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es weniger Fehlentscheidungen geben würde, wenn Grundschullehrer entscheiden dürften. Und das wäre bereits eine Verbesserung der Situation. Momentan können Eltern mit den Grundschullehrern ja quasi umspringen, wie es ihnen beliebt. :-/
Man könnte Fehlentscheidungen oder Missbrauch möglicherweise reduzieren, indem ein Dritter in die Entscheidung involviert ist. Das kann ein zweiter – möglicherweise externer – Lehrer, die Schulleitung oder ein Gutachter sein. Allerdings bräuchte es dann widerum wieder qualifiziertes Personal, das bezahlt werden will.
Genau, die Frage nach qualifiziertem und vor allem: in ausreichender Anzahl vorhandenem Lehrpersonal ist dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor. Und zwar ganz unabhänigig von der Schulform oder ihrer “Kundschaft”. Die Vorstellung von Allwissenden in blaubeige (oder welche Farbe die Hosen und Röcke der Lehrerinnen und Lehrer sonst noch haben^^) finde ich aber auch nicht ganz ohne. Wobei man da auch wieder fragen könnte, ob eine Aufteilung auf Schulformen nach vier Jahren schon sinnvoll ist. Aber ich schweife ab…
Du schreibst “Nur an Förderschulen sind diese Bedingungen gegeben”. Genau diese Förderschulen sind es, die nun abgeschafft werden sollen. Und das auch und gerade aus finanziellen Erwägungen heraus, wie dieser schöne Text durchaus nachvollziehbar nahe- und darlegt: https://correctiv.org/recherchen/stories/2016/05/22/inklusion-undercover-recherche-ruhrgebiet/
Achja: Oben liest es sich so, als ob Du eine Behinderung per se schlimmer findest als eine Lernschwäche. Ich denke mal, dass Du nicht alle körperlichen und geistigen Behinderungen pauschal gleichsetzen möchtest. Bei dem Wort “Lernbehinderung” würde ich mit dem Text uneingeschränkt mitgehen. Für Integrationskräfte liegt das letzte Wort übrigens auch eher bei der Kommune 😉
Eine Behinderung finde ich nicht per se schlimmer als eine Lernschwäche und ich möchte nicht alle Arten von Behinderungen gleichsetzen – da hast du recht.
Danke für deinen Beitrag und den Link! 🙂