Ein Klassiker seit hunderten von Jahren ist der Satz: „Wenn ich mir die Jugend von heute angucke, dann bin ich sicher, dass unsere Gesellschaft den Bach runter geht“. Ich könnte hier bereits aufhören, denn wie wir alle merken, gibt es die Menschheit im Allgemeinen und die Gesellschaft im Speziellen immer noch. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte: wir können vorsichtig optimistisch sein.
In Zeiten des Aufschwungs vor einigen Jahrzehnten setzte sich die Vorstellung durch, dass man alles haben könne, wenn man nur hart genug dafür arbeite. Ein großer Anreiz, der dazu führte, dass man tatsächlich härter arbeitete und sich alles Mögliche und Unmögliche gönnte – „weil Sie es sich wert sind“. Das Streben nach Individualismus, Glück und das Durchsetzen eigener Interessen gewann im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte an Bedeutung. Heute kennt man dieses Phänomen unter dem Begriff „Ellenbogengesellschaft“, getreu dem Motto „zuerst komme ich und dann gucken wir mal, ob für die anderen noch etwas übrig bleibt“. Klassische soziale Werte wie Respekt, Hilfsbereitschaft oder für andere Menschen mal zurückstecken verlieren bis heute an Bedeutung und werden als altmodisch angesehen. Das Interesse an den Bedürfnissen unserer Mitmenschen scheint gesunken zu sein. Das zeigt sich nicht nur im Alltag, sondern auch in Zeiten der Flüchtlingskrise. Nicht ohne eine veränderte Einstellung im Volk wären es Pegida und AfD sonst gelungen, den Egoismus der Menschen in Angst vor dem Unbekannten und schließlich in Feindschaft und Hass zu verwandeln. Aber auch ein Blick ins TV-Programm (der überwiegend privaten Sender) offenbart die perverse Neigung der Menschen, entweder im Mittelpunkt stehen zu wollen oder sich zumindest über andere arme Würstchen erheben zu können.
Die aktuelle Jugendstudie des Sinus-Instituts macht aber Mut zur Hoffnung.[1] Mit 14- bis 17- Jährigen wurden qualitative Tiefen-Interviews geführt, um herauszufinden, wie sie über Zuwanderung, Werte, die digitale Welt und Liebe denken. Daraus geht hervor, dass die heutige Jugend stärker als die Generationen vor ihr nach Halt und Orientierung sucht. In diesem Zusammenhang ist sich die Mehrheit der Jugendlichen einig, dass eine Mischung aus sozialen Werten, Toleranz, Freiheit und Aufklärung Gültigkeit haben muss, damit ein zufriedenes Zusammenleben der Gesellschaft sichergestellt werden kann. Diese Auffassung wird übrigens auch in hohem Maße von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und muslimischem Glauben geteilt. Ganz pragmatisch sprechen sich die meisten Jugendlichen dafür aus, in der Flüchtlingskrise in einem Ausmaß zu helfen, das unser Land stemmen kann, ohne dabei unseren Lebensstandard zu stark zu beeinträchtigen.
Unterm Strich macht die Studie deutlich, dass den Jugendlichen Akzeptiertsein, Halt und Geborgenheit wichtiger als Individualismus und Abgrenzung sind. Damit unterscheiden sie sich also von denjenigen, die heute zwischen 30 und 50 Jahre alt sind und ganz massiv dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft verroht und auseinanderzubrechen droht. Die Bedürfnisse der neuen Generationen sind geradezu gegenteilig, was mir Mut macht. Ich bleibe also in Bezug auf die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft bei meiner eingangs formulierten Aussage: wir können vorsichtig optimistisch sein.
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[1] http://www.n-tv.de/panorama/Sinus-Studie-Mainstream-ist-fuer-Jugendliche-kein-Schimpfwort-article17557716.html [Abgerufen am 29.04.2016]