Dieser Text wurde am 30.06.18 geschrieben – noch bevor der Streit zwischen CDU und CSU eskalierte und schließlich ein Kompromiss gefunden wurde.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) provoziert seit einigen Wochen mit der Androhung eines politischen Alleingangs. Er möchte die deutschen Außengrenzen in Bayern stärker kontrollieren und Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren direkt abweisen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht derweil auf europäischer Ebene Lösungen zu finden, bevor Seehofers Ultimatum abläuft. Am vergangenen Wochenende konnte Merkel einen Fortschritt vorweisen. 14 EU-Staaten konnten sich auf eine gemeinsame Linie im Umgang mit Flüchtlingen verständigen. Die europäischen Außengrenzen sollen stärker geschützt und Flüchtlinge ohne Hoffnung auf ein Bleiberecht in der EU sollen bereits außerhalb der EU abgewiesen werden. Zu diesem Zweck möchte man mit Drittstaaten zusammenarbeiten. Wer innerhalb der EU bereits in einem anderen Land Asyl beantragt hat, soll in Ankerzentren untergebracht werden, bis über eine Rückführung in das jeweilige EU-Land entschieden wurde. Die Einzelheiten sowie die konkrete Umsetzung der europäischen Strategie sind noch unklar.
Während man in der CSU wesentliche Forderungen als erfüllt betrachtet, zeigt man sich in der CDU zufrieden darüber, dass eine Einigung auf europäischer Ebene erzielt wurde. Doch wie zufrieden kann man mit der europäischen Lösung tatsächlich sein?
Europa ist mit seiner Strategie nach rechts gerückt. Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive sollen nun gar nicht erst in die Europäische Union hineingelassen werden. Wie man sich die Ankerzentren vorstellen kann, ist indes noch ungewiss. Möglicherweise werden sie mit Gefängnissen vergleichbar sein, weil es für die dort unterzubringenden Flüchtlinge Auflagen geben soll, damit diese in den Zentren verbleiben. Wie dies unter menschenwürdigen Bedingungen und unter Achtung unserer Gesetze funktionieren kann, ist noch unklar. Weiterhin ist unklar, wie lange sich Flüchtlinge in den Ankerzentren werden aufhalten müssen. Die Rückführung in die anderen EU-Länder beruht auf Freiwilligkeit. Die Verfahren könnten sich also hinziehen oder scheitern.
Europa versucht momentan, in kürzester Zeit eine Asylpolitik nachzuarbeiten, die in den letzten Jahren auf der Strecke blieb – erst, weil man die Notwendigkeit nicht sah und später, weil ein differenzierter und kritischer Flüchtlingsdiskurs von Schreihälsen auf linker und rechter Seite verhindert wurde. Gemäßigte und wirkungsvolle Maßnahmen sind allerdings in kurzer Zeit nicht zu erwarten. Und so setzen sich dieser Tage die radikaleren Ideen in der Europäischen Union durch. Die CSU kann die Übereinkunft aus Brüssel daher zurecht als Erfolg feiern.
Während die Übereinkunft in Deutschland zur Stabilisierung der Koalition beiträgt, kann sie auf europäischer Ebene nicht über die tiefe Spaltung Europas hinwegtäuschen. Die Einigung der 14 von 27 Staaten ist nicht gerade das, was man als ein geeintes Europa bezeichnen kann. Unterm Strich zählt für jeden Mitgliedsstaat der eigene Vorteil. Und dieser Vorteil scheint augenblicklich nicht durch Kooperation erreicht werden zu können. Was das für die Zukunft Europas bedeutet, steht im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen.